Meine Kindheit liegt in den 1970er Jahren. Ich bin mit dem autofreien Sonntag, der Angst vor dem Ostblock und in einem bitterlich geteilten Deutschland aufgewachsen. Im Fernsehen verfolgte ich gebannt die Abenteuer von Pippi Langstrumpf. Besonders interessierte mich das Titellied der Serie. Da singt Pippi über ihre Lebensphilosophie: „Ich mach' mir die Welt Widdewidde wie sie mir gefällt!“
Damals habe ich gedacht: So ein Quatsch. Pippi, das geht doch gar nicht. Es gibt Fakten und Tatsachen in der Welt. Niemand kann sich da mal eben die Welt so machen, wie sie einem gefällt! Seit dieser Zeit sind einige Jahrzehnte vergangen und inzwischen weiss ich: Oh doch, das geht. Man kann sich die Welt so zurechtbiegen, wie es einem gefällt. Wir leben meiner Meinung nach in einer Welt, die von Jahr zu Jahr mehr nach dem Pippi-Prinzip lebt: Ich mach' mir die Welt Widdewidde wie sie mir gefällt!
Wie komme ich zu dieser Einschätzung? So richtig ist mir das bei der ersten Amtseinführung von Donald Trump aufgefallen. Da waren im Januar 2017 viel weniger Menschen anwesend, als in der Vergangenheit bei solch einem Anlass. Doch was geschah? Anstatt den Tatsachen Rechnung zu tragen und dies anzuerkennen, stellte sich die Presssprecherin von Trump vor die Presse und führt den neuen Begriff „alternative facts“ ein. Sie betonte, dass man im Besitz alternativer Fakten wäre und diese würden beweisen, dass noch nie so viele Menschen an einer Amtseinführung teilgenommen hätten wie diesmal. Ich bin mal gespannt, ob sich das im nächsten Januar bei der zweiten Vereidigung wiederholen wird.
Liebe Leserinnen und Leser, wir leben in der Welt der „alternative facts“. Fakten, die ich nicht mag, die tausche ich durch meine eigenen Tatsachen aus. Gefunden habe ich die irgendwo: im Internet, in der Zeitung oder in meinem eigenen Kopf. Wohin führt uns das aber? Wenn jede und jeder nur noch sich selbst als Quelle der Weisheit sieht und jede unbequeme Tatsache mit den eigenen „alternative facts“ aus dem Weg räumt, dann wird unsere Gesellschaft bald keine Richtung und kein gemeinsames Ziel mehr haben.
Der einzige Ausweg ist für mich ein radikales Umdenken! Die Bibel beschreibt dies mit Busse oder Umkehr. Der Begriff ist für manche negativ besetzt, aber der Vorgang ist positiv. Gemeint ist nämlich, dass sich jeder und jede immer wieder einmal einige selbstkritische Fragen stellt. Fragen wie diese: -Woher bilde ich mir eigentlich eine Meinung?
-Welche Auswirkungen haben meine Gedanken und Taten auf mich und meine Mitmenschen und mein Verhältnis zu Gott?
-Wie gehe ich mit Tatsachen um, die mir nicht passen und mir unbequem sind?
Ich lade uns herzlich in dieser Adventszeit zur inneren Prüfung ein. Die Adventszeit ist im Kirchenjahr traditionell eine Zeit der Busse, signalisiert mit der liturgischen Farbe Lila
Euer Pfarrer Jens Liedtke-Siems